Bericht zum Linken-Tresen zu Kurdistan
Bericht zum Linken-Tresen mit dem Thema Kurdistan
22 Besucher fanden sich im Großen AWO-Keller ein. Davon stammten sieben aus einem der vier Staaten, auf die Kurdistan heute aufgeteilt ist. Hier wird nur wieder gegeben, was am Abend gesprochen wurde, ohne Anspruch auf sachliche Richtigkeit. Einzig die Quellennachweise im Anhang stehen für wissenschaftlich fundierte Beschreibungen der kurdischen Kultur.
Eingeleitet wurde der Abend mit zwei kurdischen Musikstücken, gesungen und gespielt auf einem traditionellen kurdischen Instrument, einer Saz, von Salah Baker. In den Texten ging es um Liebe, um Liebe zur Heimat und um Liebe zwischen zwei Menschen.
Avra Emin, die als Kind mit ihren Eltern aus dem syrischen Teil Kurdistans geflohen war, eröffnete die Diskussion mit einem kurzen historischen Rückblick. Im Vertrag von Lausanne wurden willkürliche Grenzen durch Kurdistan gezogen und das Land auf vier Staaten aufgeteilt. Frau Emin empfahl den Zuhörern, sich den Film „Nachbarn“ von Mano Khalil zu diesem Thema anzusehen. In dem Film wird aufgezeigt, wie systematisch und gewaltsam die Sprache und die Kultur der Kurden unterdrückt wurde und auch heute noch wird.
Schrift und Sprache: Kurdisch wird in arabischer und in lateinischer Schrift geschrieben. Zumindest in der Türkei waren lange einige lateinische Buchstaben wie das X verboten, die im Kurdischen benutzt werden, aber nicht im Türkischen. Um kurdische Namen in staatlichen Dokumenten notieren zu können, müssen deshalb Buchstaben ersetzt werden. Dadurch kommt es, dass Kurden gleich mehrere unterschiedliche Namen führen.
Frau Emin als syrische Kurdin begleitete als Sozialarbeiterin geflüchtete jesidische Frauen. Mit ihnen konnte sie sich sprachlich leichter verständigen als mit Kurden aus anderen Staaten. Die Sprache war noch sehr ähnlich. Was zum einen an verschiedenen Dialekten liegt, zum anderen aber auch daran, dass die Kurden, je nachdem in welchem Staat sie leben, arabische oder türkische Wort in ihren Wortschatz mit aufgenommen haben. Viele Kurden sprechen auch kein kurdisch mehr, sondern die Sprache des Staates in dem sie leben, da kurdisch zu sprechen dort lange verboten war bzw. auch heute immer noch ist.
Musik: Es gibt immer noch gemeinsame kurdische Musikstücke, die in allen vier Teilen Kurdistans bekannt sind, Musiker, die in allen vier Teilen gerne gehört werden. Es gibt auch eine gemeinsame Hymne. Die Lieder beinhalten vor allem die Gefühle von Vertreibung und Liebe. Ein armenischer Musiker wurde von kurdischen Kräften aus einer Gefangenschaft befreit. Aus Dankbarkeit schreibt er nur noch kurdische Lieder und ist in allen vier Teilen Kurdistans bekannt.
Religion: Von der kurdischen Bevölkerung werden viele verschiedene Religionen ausgeübt. Es gibt keine einheitliche Religion. Die Verbundenheit der Bevölkerung findet über die Ethnie und weniger über die Religion statt. Die kurdische Ethnie hat ihren Ursprung bei den Jesiden. Durch Zwangsassimilation entstanden muslimische Kurden.
Jessiden: Frau Emin berichtete dann noch von ihren Erfahrungen aus der Begleitung jesidischer Geflüchteten, vor allem Frauen die sexuelle Gewalt durch IS-Anhänger erfahren hatten. Jesiden sind heute eine abgeschottete Gemeinschaft. Vater und Mutter müssen jesidische sein, um jesidische Kinder zu zeugen. Frauen, die durch militärische Gewalt Kinder geboren hatten, wurden deshalb von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Als 2014 IS-Kämpfer einen Völkermord an den Jesiden begingen, befreiten kurdische Frauen Milizen Jesiden aus der Belagerung.
Wer ist ein Terrorist? Ein Besucher stellte sich gegen die Einordnung aller Kurden als Terroristen. Wer ist ein Terrorist? Derjenige, der sein Land, seine Existenzgrundlage verteidigt oder derjenige, der ihm sein Land nehmen will? Olivenbäume werden hunderte von Jahren alt und von der jeweiligen Familie fast wie ein Familienangehöriger gepflegt. Für diese Menschen haben Olivenbäume eine Seele. Sie sind die Existenzgrundlage für die Familie. Doch dann kommt der Staat und vernichtet diese Olivenhaine für Bergbauprojekte, neue Ölfelder usw.
Kommentare unter KONTEXT Artikel: Ein Besucher sprach die negativen Kommentare unter einem Artikel zur Lage der Kurden an. Er vermisst eine positive Gegenrede. Warum nimmt die Mehrheit der Leser solche Kommentare stillschweigend hin?
Welche Rolle spielte Deutschland bei der Aufteilung Kurdistans? Frau Emin wies auf die Rolle Deutschlands bei der Ausbeutung der kurischen gebiete hin. So finanzierten und bauten deutsche Firmen die Bagdadbahn.
Warum entwickelte sich in Rojava eine demokratische Selbstverwaltung, während rund herum seit Jahrhunderten patriarchal Herrschaftssysteme existieren? Aus der Kultur? Antwort: Ja! Es gibt in Kurdistan Sprichworte wie zum Beispiel „Ein Löwe ist ein Löwe – egal ob Mann oder Frau“, die die Gleichberechtigung der Frauen betonen. Sie reichen weit in die Geschichte zurück. In der Verwaltung werden heute für jeden eingestellten Mann zwei Frauen eingestellt. Natürlich spielte in jüngster Zeit auch noch die Überlegung mit, dass ein muslimischer Kämpfer nicht ins Himmelreich eingeht, wenn er von einer Frau getötet wird. Kurdische Frauen greifen lieber zur Waffe als als Sklavin eines Islamisten zu enden.
Am Ende zeigte sich ein kurdischer Besucher enttäuscht, weil er von diesem Treffen mehr Unterstützung für seine persönliche Situation erwartet hatte. Ihm wurde noch einmal das Thema dieses Abends erläutert und ihm weitere Kontakte angeboten.
Endfassung am 26.07.2025
von Reinhard Muth
Quellen zum Weiterlesen:
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Zu Avra Emin: https://www.rems-murr.die-linke-bw.de/fileadmin/kreise/kv-rems-murr/Mein_Name_ist_Avra_Emin.pdf
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Kurdistan in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurdistan
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Kurden in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurden
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Vertrag von Lausanne: https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Lausanne
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Zum Film „Nachbarn“: https://barnsteiner-film.de/nachbarn/
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Filmkritik bei epd: https://www.epd-film.de/filmkritiken/nachbarn
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Umweltzerstörung in der Türkei: https://taz.de/Umweltzerstoerung-in-der-Tuerkei/!6098154/
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KONTEXT-Wochenzeitung: https://www.kontextwochenzeitung.de/ueberm-kesselrand/743/erst-wenn-alle-frei-sind-ist-echte-freiheit-10306.html?
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Bagdadbahn: https://de.wikipedia.org/wiki/Bagdadbahn
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Bagdadbahn aus postkolonialer Sicht: https://www.maxweberstiftung.de/themenportal/beitraege/die-anatolien-bagdadbahn-deutsche-unternehmen-osmanische-buerokratie-und-die-lokale-bevoelkerung.html
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https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/550977/2014-voelkermord-an-jesidinnen-und-jesiden/
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wikipedia zur Jesiden-Verfolung: https://de.wikipedia.org/wiki/Jesidenverfolgung
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Kommentar
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